Hochmodul- und insbesondere Ultra-Hochmodul-Kohlenstoffasern sind wesentlich graphitischer als HT-Fasern. Dies hat zur Folge, daß die Graphenschichten nicht nur perfekter und besser orientiert, sondern auch wesentlich größer sind. Mit Hilfe der verschiedenen Oxidationsverfahren werden nur Randatome der Graphenschichten angegriffen. Demzufolge führt eine starke Oxidation zu einer Vergrößerung der Defekte, nicht aber zu funktionellen Gruppen auf der Graphenschicht [3,21-27]. Um diese Problematik zu verdeutlichen, sei auf die sogenannte Skin-Core-Struktur von Kohlenstoffasern hingewiesen [29,30]. Diese impliziert, daß die oberflächennahen Graphenschichten der Faser mehr oder weniger parallel zur Faseroberfläche verlaufen [30,38-40,75-77].
Die vorliegende Arbeit befaßt sich mit der Aktivierung einer Ultra-Hochmodul-Kohlenstoffaser durch eine eisenkatalysierte Oxidation. Dies setzt voraus, daß der Katalysator bzw. Katalysatorausgangsstoff möglichst molekulardispers und homogen auf der Kohlenstoffaseroberfläche verteilt vorliegt. Für das Erreichen einer derartigen Verteilung ist eine selektive Wechselwirkung des Katalysators bzw. des Katalysatorprecursors mit den Graphenschichten erforderlich. Aus diesem Grund schieden anorganische Katalysatorausgangsstoffe aus; verwendet wurde Ferrocen. Das Aufbringen des Ferrocens erfolgte durch Imprägnierung der Faser mit Lösungen zweier unterschiedlicher Lösungsmittel; Dichlormethan und 1-Methyl-pyrrolidin-2-on (NMP). Ersteres ist schwach polar und besitzt einen niedrigen Siedepunkt von 40°C. NMP ist eine Lewis-Base; es könnte somit auf der Faseroberfläche vorliegende saure funktionelle Gruppen blockieren. Außerdem liegt der Siedepunkt von NMP mit 203°C deutlich über dem von Dichlormethan.
Erhebliche Probleme bereitete die verfügbare Ultra-Hochmodul-Kohlenstoffaser. Es handelt sich um die P120-Faser der Firma Amoco Performance Products, Inc. (siehe auch Kapitel 2.1.1). Sie wurde als Sonderanfertigung ohne die übliche Oberflächenaktivierung und ohne Schlichte bezogen. Im Laufe der Untersuchungen stellte sich aufgrund von rasterelektronenmikroskopischen, rasterkraftmikroskopischen und rastertunnelmikroskopischen Aufnahmen (Abbildungen 15 / 16,22,25), des Oxidationsverhaltens der Faser (Abbildung 6) sowie der Röntgen-Photoelektronen-Spektroskopie (Abbildung 7) heraus, daß die Faser geschlichtet oder zumindest oberflächlich verunreinigt war. Außerdem zeigt die Faseroberfläche nicht die Perfektion, wie sie aus der Literatur [28] bekannt ist. Die erunreinigungen führen zu einer signifikanten Inhibierung der Oxidation (Abbildung 6). Es gelang trotz umfangreicher Untersuchungen nicht, die Natur der Verunreinigungen zu identifizieren. Rastertunnelmikroskopische Aufnahmen (Abbildung 25) lassen jedoch den Schluß zu, daß nicht nur aktive Zentren blockiert, sondern auch die Faseroberfläche bedeckt ist. Untersuchungen zum Entfernen der Schlichte bzw. der Verunreinigungen mit Lösungsmitteln verschiedener Polarität führten zu dem Ergebnis, daß die größtmögliche Reinigung der Faser mit Dichlormethan erzielt werden kann (siehe Kapitel 3.1). Dies läßt unter Berücksichtigung früherer Untersuchungen [6,10], bei denen sich Wasser als optimales Extraktionsmittel erwies, den Schluß zu, daß die Verunreinigungen im wesentlichen unpolarer Natur sind.
Im Ergebnisteil sind vergleichende Ergebnisse der nicht-extrahierten Faser mit wiedergegeben. Die folgende Diskussion bezieht sich ausschließlich auf die mit Dichlormethan extrahierte P120-Faser. Die Entscheidung für eine katalysierte Oxidation im Vergleich zu einer nichtkatalysierten Oxidation ergibt sich bereits aus der voranstehenden Darstellung, daß bei einer nichtkatalysierten Oxidation der Sauerstoffangriff vorzugsweise an den Rändern bzw. an den Defekten der Graphenschichten erfolgt [3,21-27]. Mit Hilfe eines molekulardispers und homogen verteilten Katalysators sollte es möglich sein, Nanodefekte in perfekten Bereichen der Graphenschichten zu erzeugen, und zwar bei Temperaturen, bei denen die nichtkatalysierte Oxidation vernachlässigbar ist [33,34]. Hochauflösende rasterelektronenmikroskopische Untersuchungen (Abbildung 17) haben gezeigt, daß zumindest unter Verwendung von NMP als Lösungsmittel eine molekulardisperse Verteilung des Ferrocens möglich ist.
Ferrocen sublimiert leicht bei Temperaturen über 70°C, wie thermogravimetrische Untersuchungen (Abbildung 10) zeigen. Für eine eisenkatalysierte Oxidation ist jedoch eine Umwandlung von Ferrocen in Eisenoxid erforderlich. Um ein Sublimieren des Ferrocens auszuschliessen, wurde das Ferrocen auf der Faseroberfläche zunächst mit Ozon bei Raumtemperatur oxidiert, wobei sich bereits Eisenoxid bilden kann [46-48]. Aus rasterelektronenmikroskopischen und rastertunnelmikroskopischen Aufnahmen (Abbildungen 21 und 28) ergab sich nach einer Sauerstoffoxidation dieser Faser bei 450°C ein punktueller Angriff der Faseroberfläche, der zu einer Art Lochfraß (Pitting) führte.
Aus diesem Grund wurde eine Oxidation des Ferrocens auf der Faseroberfläche mit Hilfe von Sauerstoff bei einer Temperatur von 450°C untersucht. Dabei wurde festgestellt, daß zumindest soviel Ferrocen auf der Faseroberfläche verbleibt, daß eine katalysierte Oxidation erreicht wird (Abbildungen 19, 23 / 24 und 27). Thermogravimetrische Untersuchungen sowohl bei linearem Temperaturanstieg (Abbildung 9<) als auch bei einer konstanten Temperatur (Abbildung13) ließen zudem einen Einfluß der Ferrocenkonzentration der Imprägnierlösung erkennen. Daraus ist zu folgern, daß unterschiedliche Ausgangsmengen von Ferrocen auf der Faseroberfläche auch zu unterschiedlichen Mengen an Eisenoxid führen.
Aus allen Untersuchungen geht weiterhin hervor, daß die Ferrocenverteilung auf der Faseroberfläche vom verwendeten Lösungsmittel abhängt. Wird Dichlormethan als Lösungsmittel eingesetzt, so werden auf der Faseroberfläche Nanopartikel aus Ferrocen gebildet (Abbildungen 17 und 32 / 33), die relativ fest auf der Faseroberfläche haften (Rasterkraftmikroskopie). Dagegen bildet sich mit NMP als Lösungsmittel offensichtlich eine sehr dünne, homogene Ferrocenschicht; diese Folgerung wird durch den homogenen Angriff der Faseroberfläche nach einer halbstündigen katalysierten Oxidation verstärkt (Abbildung 19(b)). Aus Untersuchungen der imprägnierten P120*-Faser vor einer Oxidation mit Hilfe der Auger-Spektroskopie ergibt sich ebenfalls eine homogene, jedoch keine filmartige Bedeckung der Faseroberfläche mit Ferrocen (Abbildungen 34 und 35).
Nach dem Vorliegen dieser Erkenntnisse wurden weiterführende Untersuchungen durch Variation der Oxidationsdauer und der Oxidationstemperatur durchgeführt. Hierbei wurde die Faseroberfläche sowohl im Bezug auf die Struktur (Rasterelektronenmikroskopie, Rasterkraftmikroskopie und Rastertunnelmikroskopie) als auch die Chemie (Bestimmung der Adhäsionsarbeit, Temperatur Programmierte Desorption und Electron Spectroscopy for Chemical Analysis) untersucht. Parallel hierzu wurden oxidierte Fasern in Polycarbonat eingebettet, um mit Hilfe der in der Matrix auftretenden Spannungen die Faser-Matrix-Haftung zu bestimmen (siehe auch Kapitel 2.2.3). Als Maß für die Faser-Matrix-Haftung wurde der Abstand zwischen den Spannungsspitzen auf der Faseroberfläche l'B verwendet. Die Ergebnisse in Abbildung 39 zeigen, daß nach einer etwa halbstündigen katalysierten Oxidation bei 450°C der kleinste l'B-Wert erreicht wird, was einer maximalen Adhäsion entspricht. Der l'B-Wert der unbehandelten Faser von 191mm verringert sich dabei auf einen Wert von 100g>m. Bei längerer Oxidationsbehandlung nehmen die l'B-Werte zunächst wieder zu und durchlaufen bei etwa 5h ein Maximum (Abbildung 39).
Durch Untersuchungen mit Hilfe der Rasterelektronenmikroskopie läßt sich nach halbstündiger Oxidation mit Ausnahme einer leichten Aufrauhung der Faseroberfläche keine signifikante Änderung erkennen (Abbildungen 19(a) und 19(b)). Nach einer Oxidationsdauer von 5h ergibt sich dagegen eine drastische Änderung der Faseroberfläche. Sie läßt sich aus den rasterelektronenmikroskopischen Aufnahmen (Abbildung 19(c)) und insbesondere aus den rasterkraftmikroskopischen Aufnahmen (Abbildung 23) entnehmen. Letztere zeigen eine maiskolbenartige Struktur, die darauf schliessen läßt, daß der verstärkte Angriff an den Rändern von BSU-Einheiten (BSU=Basic Structural Unit) erfolgt. Dies wird auch durch die rastertunnelmikroskopischen Aufnahmen bestätigt (Abbildung 27). Nach 20-stündiger Oxidation liegt erneut eine stark veränderte Oberflächenstruktur vor. Die Oberflächenschicht (skin) der Faser wurde zum großen Teil abgetragen (Abbildungen19(d)und 24), so daß die Ränder der radial orientierten Graphenschichten (core) erkennbar sind [29,30].
Die Oberflächenchemie der Faser nach Oxidationsbehandlungen wurde mit Hilfe der Temperatur Programmierten Desorption, der Electron Spectroscopy for Chemical Analysis und der Bestimmung von Adhäsionsarbeiten untersucht. Aus den Untersuchungen mit Hilfe der Temperatur Programmierten Desorption ergibt sich, daß die Faser nach 5-stündiger Oxidationsdauer die maximale Menge an Sauerstoff desorbiert (Tabelle 7). Das Verhältnis der desorbierten Mengen an CO2 und CO nimmt mit steigender Oxidationsdauer geringfügig von 0,18 auf 0,17 ab (Tabelle 7). Der hohe Sauerstoffgehalt nach 5-stündiger Oxidation läßt sich durch die maiskolbenartige Oberflächenstruktur erklären, da diese über eine vergleichsweise große Oberfläche verfügt. Der in Form von CO2 desorbierte Sauerstoff mit Peaktemperaturen von 365°C bzw. 490°C kann neutralen und schwach sauren Gruppen mit zwei Sauerstoffatomen bzw. peroxidischen Gruppen zugeordnet werden (siehe Tabelle 2). Ein schwacher CO2-Peak bei einer Temperatur von unter 200°C nach einer 20-stündigen Oxidation ist auf adsorbiertes CO2 zurückzuführen, da stark saure Carboxylgruppen nach einer Oxidation bei 450°C nicht zu erwarten sind. Die Faser nach einer 5-stündigen Oxidation unterscheidet sich von den Fasern nach 0,5- und 20-stündiger Oxidation außerdem durch eine erst bei höherer Temperatur einsetzende CO-Desorption sowie durch einen ausgeprägten CO-Desorptionspeak bei ca. 900°C. Eine CO-Desorption bei Temperaturen von 600°C - 700 C ist auf Phenyle und Hydrochinone zurückzuführen, während bei Temperaturen von 800°C - 900 C Carbonyle und Chinone beobachtet werden können (siehe Tabelle 2).
Im Gegensatz zu diesen Untersuchungen ergaben die Messungen mittels Electron Spectroscopy for Chemical Analysis einen monotonen Anstieg des O1s:C1s-Verhältnisses, also des Sauerstoffanteils, mit zunehmender Oxidationsdauer (Abbildung 30). Das bedeutet, daß sich der maximale Sauerstoffgehalt der oxidierten Faser nach einer 5-stündigen Oxidation nicht in einem hohen O1s:C1s-Verhältnis widerspiegelt.
Aus den in Abbildung 36 wiedergegebenen Adhäsionsarbeiten lassen sich Stufen bei pH-Werten von 8, 10 und 12 erkennen. Diese können nach Zielke und Krekel [6-11,18,63,78,79] schwach sauren Carboxylgruppen/Lactolen, phenolischen Hydroxylgruppen / Chinonen bzw. stark basischen Hydroxylgruppen zugeordnet werden. Die Höhe der Stufe bei pH=8 ist nach einer Reaktionsdauer von 0,5h am niedrigsten. Nach einer Reaktionsdauer von 5h bzw. 20h ist die Höhe dieser Stufe etwa um den Faktor 3 größer. Dagegen ist die Stufe bei pH=10 nur nach einer Reaktionsdauer von 0,5h zu beobachten, während die Stufe bei pH=12 bei dieser Reaktionsdauer nicht auftritt. Die Stufe bei pH=12 ist nach Reaktionsdauern von 5h und 20h zu beobachten; die Stufen sind ebenfalls gleich groß. Es ist auffallend, daß die maximale Adhäsionsarbeit bei einem pH-Wert von 13 (WSL max) nach 0,5-stündiger Oxidation am größten ist, nach 5-stündiger Oxidation eindeutig abfällt und nach einer Oxidationsdauer von 20h wieder ansteigt. Die Abhängigkeit der maximalen Adhäsionsarbeit bei pH=13 von der Oxidationsdauer ist in Abbildung 37 wiedergegeben. Hierbei sind zusätzlich die Werte für eine Oxidationsdauer von 0,25h und 2h mit eingezeichnet. Ein Vergleich von Abbildung 37 mit der analogen Darstellung der l'B-Werte in Abbildung 39 zeigt in erster Näherung eine spiegelbildliche Zeitabhängigkeit. Dies bedeutet, daß kleine WSL max-Werte großen l'B-Werten und damit einer geringen Faser-Matrix-Haftung entsprechen. Es sei jedoch ausdrücklich betont, daß kein direkter Zusammenhang zwischen den WSL max- und l'B-Werten existiert. Deshalb sei daran erinnert, daß bei früheren Untersuchungen [8-11] mit Hochfest (HT)-Fasern eine eindeutige Korrelation zwischen der interlaminaren Scherfestigkeit als Maß für die Faser-Matrix-Haftung und den WSL max-Werten erhalten wurde. Andererseits ist darauf hinzuweisen, daß das O1s:C1s-Verhältnis, das in diesen Arbeiten ebenfalls mit der interlaminaren Scherfestigkeit als Maß für die Faser-Matrix-Haftung korreliert werden konnte, bei den vorliegenden Untersuchungen keine eindeutige Beziehung zu den l'B-Werten zeigt.
Bei den Untersuchungen mit Oxidationsdauern von bis zu 20h erfolgen drastische Veränderungen der Oberflächenmikro- und Oberflächennanostruktur. Da die Haftung einer Polymermatrix an der Faseroberfläche nicht nur von chemischen Wechselwirkungen, sondern auch von mechanischen Verzahnungen bestimmt wird, ist es nicht überraschend, daß nur eine grobe Korrelation der l'B-Werte aus Abbildung 39 mit den maximalen Adhäsionsarbeiten erhalten wurde. Dennoch folgt aus diesen wie aus früheren Untersuchungen mit HT-Fasern, daß sich die Faser-Matrix-Adhäsion tendenziell nur mit den Adhäsionsarbeiten korrelieren läßt. In vorangegangenen Arbeiten von Zielke und Krekel [8-11,15-18] wurden dieselben Schlußfolgerungen gezogen.
Unter praktischen Gesichtspunkten kann man folgern, daß durch die kurzzeitige katalytisierte Oxidation eine selektive Aktivierung der Faseroberfläche erfolgt. Aus Abbildung 39 ergibt sich für eine unkatalysierte 5-stündige Oxidation ein ähnlicher l'B-Wert wie für eine 30-minütige katalysierte Oxidation. In diesem Fall ist jedoch neben dem hohen Zeitbedarf davon auszugehen, daß eine innere Oxidation der Faser und damit eine Verschlechterung der mechanischen Eigenschaften der Faser erfolgt. Aufgrund der hohen Sprödigkeit der Faser ist eine Bestimmung der mechanischen Eigenschaften durch Monofilamentzugversuche sehr schwierig und mit einem extrem großen Aufwand verbunden. Zur Demonstration der durch eine starke Oxidation hervorgerufenen Faserschädigung wurde eine Messung der mechanischen Eigenschaften nach einer 20-stündigen Oxidation durchgeführt. Diese ergaben im Vergleich zur unbehandelten Faser einen Abfall der Festigkeit um etwa 40%. Dies zeigt die starke Zerstörung der Faser; dadurch kann die Faser für die Herstellung von Verbundkörpern nicht mehr verwendet werden.